Irak vs. Intel: Bären gegen Bullen

Stephan Heibel
Veröffentlicht von Stephan Heibel am 12.06.2014
Dies ist eine exklusive Leseprobe von:

Heibel-Ticker Börsenbrief

Irre, was da derzeit abgeht. Ich hatte mich auf einen ruhigen Sommer gefreut, doch derzeit geht es drunter und drüber an den Börsen. Da gerät selbst das Eröffnungsspiel Brasilien gegen Kroatien parallel zum Aufbegehren der brasilianischen Bevölkerung gegen die sinnlose Geldverschwendung der Präsidentin Dilma Rousseff in den Hintergrund.



Na, nicht ganz, gestatten Sie mir zumindest einen kurzen Kommentar: Ein durchweg gelungener Auftakt mit Diskussionsfutter für alle: Ein spannendes, teilweise hitziges Spiel mit einem überraschend frisch spielenden Außenseiter Kroatien, eine (vielleicht sogar spielentscheidende) Fehlentscheidung des Schiedsrichters und eine überragende Vorstellung des neuen Stürmerstars Neymar. Gewonnen hat natürlich der Gastgeber, alles andere würde dem WM-Verlauf einen faden Beigeschmack geben. Was will das Fußballherz mehr?

Aber zurück zur Börse, oder besser gesagt zur Börse und zur Geopolitik. Seit dem Börsencrash und dem folgenden Tief im März 2009 steigen DAX und Dow Jones kontinuierlich an. Jeder Rückschlag, jede Korrektur seither war politisch erzeugt. Ist Ihnen aufgefallen, wie ruhig es um Obama in den vergangenen Monaten geworden war?
 

Die Abwesenheit von politischen Zankereien und Aktionismus ist positiv für die Börse

Unternehmen fürchten keine Störfeuer seitens der Legislativen und konzentrieren sich auf's Geschäft. Anleger kümmern sich nicht um Steuerquoten von Unternehmen oder Konjunkturförderungen der Regierung, sondern um die Geschäftsentwicklung. Und da die Rahmenbedingungen nach den vielen Krisen der vergangenen 14 Jahre derzeit recht ausgeklügelt sind, können Unternehmen wachsen...

...und somit auch die Aktienkurse.

Nun gibt es aber wieder geopolitische Unruhen, die das Wirtschaftsgefüge der Welt aus dem Gleichgewicht bringen könnten. Anders als die Ukraine-Krise, deren Auswirkung in erster Linie die direkten Handelspartner des Landes betraf, nicht aber die Konjunktur der ganzen Welt, hat der Irak das Potential, die Gewinnkalkulation vieler Unternehmen in der ganzen Welt zu beeinflussen. Negativ als auch positiv.

ISLAMISTEN EROBERN NORDEN IRAKS

In den vergangenen Tagen haben Islamisten im Norden Iraks eine Reihe von Städten eingenommen. Dabei überrascht zum einen die Schnelligkeit, mit der sich die Islamisten ausbreiten. Zum anderen zeigen diese Vorgänge, wie wenig nachhaltig die von den USA in ihrem zehrenden Auslandseinsatz geschaffene Basis für einen Neuanfang mit mehr Demokratie im Irak ist.

Nun geht die Angst um, dass die Islamisten auch den Süden unter Kontrolle zu bekommen versuchen. 80% der Ölinfrastruktur befindet sich im Süden. Bislang haben die Vorgänge im Norden des Iraks kaum einen Einfluss auf die Ölförderung, die Raffinerien und die Verladestellen im Süden, und entsprechend bemüht sich die irakische Regierung, die Auswirkungen des Konflikts herunterzuspielen.

Doch das dürfte nicht lange gelingen. Zum einen arbeiten im Süden viele Iraker, die aus dem Norden stammen und sich nun auf den Weg in ihre Heimat machen, um ihre Familien zu unterstützen. Zum anderen reichen die Vorgänge im Norden aus, um die Stimmung unter den Arbeitern im Süden anzuheizen und im Zweifel dort eigene Konflikte hervorzurufen. Es ist also in meinen Augen nur eine Frage der Zeit, bis die Öllieferungen aus dem Irak beeinträchtigt werden, wenn dieser Konflikt nicht schleunigst beigelegt werden kann.

Und so hat sich Präsident Obama gestern vor die Kameras gestellt und kurzfristig eine entschlossene Antwort auf die Vorgänge angekündigt. Wie diese Antwort aussehen könnte, ließ Obama offen. Er schloss dabei keine Art der Reaktion aus, er behalte sich alle Optionen offen.

Für mich klang das eher so, als wisse er noch nicht genau, was er tun soll. Wieder Soldaten ins Land schicken? Einen Luftangriff? Über Sanktionen würden die Islamisten wohl eher lächeln. Obama schien ratlos und überrascht, und das ist kein gutes Zeichen für den Präsidenten der wichtigsten Supermacht der Welt.

Diese Ratlosigkeit bedeutet an der Börse soviel wie Ungewißheit. Und Sie wissen: An der Börse hasst man nichts mehr als Ungewißheit. Entsprechend gingen die US-Börsen gestern in Folge seiner Rede auf Tauchstation. Gerüchte über einen militärischen Schlag, vielleicht sogar bereits an diesem Wochenende, machen die Runde.

Der Irak fördert täglich 3,6 Mio. Fässer Öl. Im Norden sind soeben 500.000 Fässer Tagesförderung verlorengegangen. Das ist noch nicht so wild und kann durch Länder wie Saudi Arabien locker ausgeglichen werden.

Doch die 3,6 Mio. Fässer Tagesförderung entsprechen etwa 3% der weltweiten Tagesförderung. Und das ist in einem so engen Markt dann schon eine Hausnummer, die nicht mal eben schnell kompensiert werden kann. Entsprechend ist der Ölpreis diese Woche bereits um 4,2% auf 113 USD/Fass angesprungen. Sollte die Krise nicht schnell beruhigt werden können, so dürfen wir uns meiner Einschätzung nach schon bald auf einen Ölpreis um 125 USD/Fass einstellen.

Der Ölpreis als Basis unserer Energiewirtschaft schlägt über Strom- und Benzinkosten direkt auf die Produktionskosten vieler Unternehmen und auf das Portemonnaie des Konsumenten durch - weltweit. Wie eine Steuer erhöht der Ölpreis jegliche Kosten für Produktion und Konsum. Die Folge ist logischerweise weniger wirtschaftliche Aktivität und weniger Konsum. Und das belastet die Konjunktur. Und das wiederum belastet die Aktienbörse.

INTEL ERHÖHT PROGNOSE

Intel hat gestern Abend seine Umsatz-, Gewinn- und Margenprognose erhöht. Mehr Umsatz als gedacht bringt natürlich mehr Gewinn als gedacht, sofern man nicht die Preise senken muss. Doch Intel kann sogar die Gewinnmarge ausweiten.

Durch die Beendigung des Supports von Microsoft für sein altes Betriebssystem Windows XP stehen nun viele Unternehmen vor der Entscheidung, alte Rechner auf ein neues Betriebssystem zu migrieren, oder aber gleich einen neuen Rechner zu kaufen. Und viele Unternehmen entscheiden sich für letztere Option, es werden wieder PCs gekauft. Davon profitiert natürlich Intel.

Chips sind ein Massenprodukt mit steigenden Skalenerträgen. Die Entwicklung ist teuer, auch die Produktion eines einzigen Chip ist sündhaft teuer. Doch wenn ein Chip in die Massenproduktion geht, dann sinken die Produktionskosten je Chip immer weiter. Nach Jahren der Entbehrung, rückläufigen PC-Absatzzahlen sei Dank, kalkuliert Intel inzwischen mit weniger Stückzahlen als zuvor. Doch wenn sich nun der PC-Absatz stabilisiert, oder gar, wie in der Prognoseanhebung erwähnt, wieder ansteigt, dann bedeutet das eine kräftige, überproportionale Gewinnsteigerung für Intel.

Und nicht nur für Intel. Auch Festplattenhersteller (Sandisc, Micron, Western Digital, ...) und Graphikkartenanbieter (Nvidia, Cirrus Logics, ...) sowie diverse Anbieter von PC-Komponenten profitieren von diesem Aufschwung in der Branche. Intel ist heute mit 8% im Plus, auch Microsoft profitiert von der Meldung (+1,3%).

INTEL VS. IRAK: DAHIN GEHT DIE REISE DER BÖRSE

Intel zieht die Technologieaktien mit nach oben. Der Irak zieht Ölaktien nach oben. Technologieaktien machen etwa 15% des S&P 500 aus, Ölaktien keine 10%. Auf der anderen Seite zieht ein steigender Ölpreis alle Aktien von Unternehmen in den Keller, die Produktionskosten haben oder direkt an Konsumenten verkaufen. Das sind deutlich über 50% der S&P 500 Aktien.

Entsprechend fürchte ich, dass der Irak, sofern Obama nicht eine schnelle Lösung einfällt, eine Weile lang das Geschehen beeinflussen wird. Während Spekulanten bis vor zwei Tagen freitags ihre Short-Positionen glatt stellten, denn über das Wochenende werden generell viele Übernahmen ausgehandelt, und man könnte montags überrascht werden, werden nunmehr die Long-Spekulanten freitags ihre Positionen glatt stellen. Wer weiß, welches Drama sich über das Wochenende im Irak abspielen könnte.

Schauen wir einmal, wie sich die wichtigsten Indizes im Wochenvergleich entwickelt haben:

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES

Den Ölpreisanstieg um 4,2% habe ich bereits oben kommentiert. Als nächstes sticht der Nikkei-Anstieg um 5,2% ins Auge. Hoffnung auf die Senkung der Unternehmenssteuer trieb die japanische Börse die Woche durch nach oben. Gestern Abend hat sodann Ministerpräsident Shinzo Abe kurz vor Börsenschluss bekanntgegeben, die Unternehmenssteuer von derzeit 36% schrittweise auf 30% zu senken.

Auch aus China haben wir am vergangenen Wochenende Daten erhalten: Dort verläuft das Wachstum nach Plan. Allerdings wurden die Zahlen für das erste Quartal nach unten revidiert. Analysten gehen inzwischen für die kommenden Jahre von einem weiteren Rückgang des Wirtschaftswachstums in China von derzeit 7% auf 5% in zwei bis drei Jahren aus. Bis dieses niedrigere Niveau des Wachstums dann erreicht ist, dürften die Aktienbörse und daran angehangene Branchen weiterhin unter Druck bleiben.

Entsprechend als Reaktion auf die Unruhen im Irak sind auch die Preisrückgänge bei den Verschiffungstarifen (Baltic Dry -3,9%) sowie beim Kupfer (-2,4%) zu sehen. Auch hier stellen sich Anleger ad hoc auf weniger Wirtschaftsaktivität ein und verkaufen diese konjunktursensiblen Werte. Und natürlich steigt der "Sichere Hafen", der Goldpreis, in dieser Nachrichtenlage an (+1,5%).

Noch notieren die Aktienbörsen nahe ihren Allzeithochs. Die Situation ist ungewiss, und wer Gewinne der vergangenen Wochen sichern möchte, für den ist es noch nicht zu spät.
 
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